AUTOR WOLFGANG BECHER
Kurzprosa, Satiren, Erzählungen
Leseproben 1


Ausdrücklich bitte ich darum,

das

©

zu beachten:
Alle Rechte an den literarischen Stücken beim Autor!


Und morgen schon –

da sehen wir uns wieder

 

Ich freue mich den ganzen Tag darauf, Dir abends zu begegnen. Es ist dieser selige Moment, den ich wieder und wieder erwarte, Tag für Tag. Jedesmal erfüllt es mich mit tiefer Freude, Dich zu sehen. Dann erblicke ich Dich  …und ich weiß, es hat sich gelohnt, auf Dich zu warten.

   Es hat Tage gegeben, da konnte ich Dich nicht treffen. Das war bitter wie all die langen Nächte, in denen ich Dich so vermisse. Doch nun sehen wir uns, jeden Tag, und ich freue mich auf Dich.

   Auch die Wochenenden sind lange Zeit ein Problem für uns gewesen, doch jetzt haben wir endlich eine Lösung gefunden – wir können uns jeden Tag sehen. Nur Du und ich. Nun ist es alle Tage unser kleines Glück.

   Weißt Du noch, wie wir uns das erste Mal getroffen haben? Genau an jenem Ort ist es gewesen, wo wir uns regelmäßig wiedersehen! Und es ist mir stets die gleiche, beglückende Erfahrung, wenn ich Dich erblicke.

   Wir sagen nichts, wenn wir uns anschauen. Daß wir uns sehen, das allein ist wichtig. Wir reden nicht miteinander, stumm sprechen wir uns zu, mißverstehen uns nicht. Wir haben sie wortlos vereinbart, diese Zwiesprache unserer Blicke.

   Wir sehen uns, und ich freue mich auf Dich jeden Tag.

   Und wenn wir je ein Wort wechselten, ich glaube, es würde alles zerstören.

   Und so lassen wir es, wie es ist, nicht wahr?


***

 

Der zweite Preis

 

Die Geschichte mit - und vor allem um Hugo Baldwin ist  nicht so leicht zu erzählen. Den zweiten Preis hatte er gewonnen, soviel steht fest, doch dabei ist es nicht geblieben.

 

 Nur so am Rande bemerkt: Hugo Baldwin lebte in einem kleinen Eifelort, vielleicht dreihundert Einwohner. Jeder kennt jeden. Er bewohnte eine Mansarde, an die er günstig über seinen Arbeitgeber herangekommen war. Das  aber mag unerheblich sein. Diese eigentümliche Geschichte spielte sich jedenfalls so ab:

 

    Hugo Baldwin hatte durch ein Herrenmagazin einen "erlebnisreichen Tag mit zwei Top-Models"  gewonnen. Und wie er sich darüber freute, können zumindest die männlichen Leser nachvollziehen. Am vereinbarten Tag wurde ein Rolls-Royce vor das Anwesen kutschiert, mit an Bord ein beflissener Agent, umsichtig, geschäftig, Herr der Lage. Er war zugleich auch für die Fotos zuständig, auf die es wohl ankam. Gut und schön, der Nobelkarosse entstiegen ein blondes und ein rotbrünettes Weib, grazil, vollkommen, blasiert.  Sie waren seriös herausgeputzt, das wurde Hugo gleich gewahr. Es tat seiner Vorfreude aber keinen Abbruch:

hautenge Modelkleider, winzige Stöckelschuhe, gekonnt geschminkt - und erst ihr Gang, dieses schwebende Wogen.

 

    Hugo durfte, mit einem ansehnlichen Gutscheinheft ausgestattet, die Tour in und durch die nahegelegene Großstadt dirigieren: Restaurant, Café, Parkanlagen - ein ausgiebiger Bummel durch die Geschäftsstraße, Boutiquenbesuche.

 

    Die Models lächelten gequält, nur bei den Fotos waren sie unbefangen und wuchsen in ihrer Hinneigung zu Hugo übereinander hinaus. Dennoch, das soll nicht verhehlt werden, denn man konnte es an ihren Mienen erkennen - die Blicke sagten so etwa zueinander: "Den kannst DU haben" und "Danke, nach dir." Hugo hatten sie schnell unter kleiner Spießer abgehakt.

 

    Die kleine Gruppe fiel in dem großstädtischen Gedränge besonders auf, nicht zuletzt durch den auf zahllose Fotos bedachten Agenten, immerzu die umhängenden Kameras zielend auf das kuriose Trio gerichtet. Und gerade wegen der zwei auffälligen Schönheiten bildeten sich Menschentrauben, ein wenig ratlos die Kombination mit dem unscheinbaren Hugo voll Unverständnis begaffend. Hugo Baldwin - klein, dick, kahlköpfig - aber mit viel Spaß bei der Sache. Hugo versprühte Lebensfreude.

 

    Genau das war es aber, was den rasch verrinnenden Tag zunehmend bestimmte. Das ausgeglichene, seelenvolle Auftreten von Hugo Baldwin. Die pikierten Models, beständig und zuverlässig aus ihrer angeödeten Vertragserfüllung nur für die Schnappschüsse gekonnt lächelnd herausfindende, wurden im Fortlauf der erlebnisreichen Stunden von Hugo angesteckt. Es hatte sich da irgendetwas Unerklärliches in den letzten Stunden eingeschlichen, den gewohnten Alltag, mit Terminhatz und Streß und den ewig gleichen Typen, die nur Püppchen, Hasilein

und sowas sagten, durchbrochen. Auch ließ Hugo so wohltuend seine Hände bei sich, sogar bei den engsten Posen für die unermüdlich klickende Kamera. Kein Popoklatschen, keine anzüglichen Bemerkungen.

 

    Zuerst noch pflichtgequält das Pensum des Tages abspulend, gewannen sie im Umgang mit dem lebhaften und gutgelaunten Hugo

schnell Freunde an der Sache. Schön war es mit einem Mal, bei Hugo zu sein.

 

    Und im Laufe des Tages überkam sie durch seine einmalige Liebenswürdigkeit sogar ein Hauch von Melancholie: Warum können Männer ihrer Klasse nicht so sein, warum steigt den Snobs nur immer ihr Geld zu Kopfe, warum entpuppen sie sich stets als die gleichen Widerlinge, wenn sie sich beinahe alles erlauben, sprich: kaufen können? Machos und Chauvis, etwas anderes hatten die Mannequins in den hektischen Jahren nicht kennengelernt.

 

    Hugo Baldwin stieg es nicht zu Kopf, seine Freude war aufrichtig und herzerfrischend, es genügte ihm, sich mit schönen jungen Frauen, an die er sonst nie herangekommen wäre, in aller Öffentlichkeit zeigen zu dürfen. Sie waren bei ihm und heute nur für ihn da - und gleich zwei auf einmal! Es war märchenhaft, so flankiert durch die Stadt zu bummeln. Hugo kam ganz auf seine Kosten - und später würden all die anderen ihn so sehen, auf Fotos, über viele bunte Seiten in dieser von Herren bevorzugten Illustrierten.

 

    Die aufreizenden Schönheiten hatten allmählich vergessen, daß sie dafür bezahlt wurden, unterstanden treu und brav der Gönnerlaune von Hugos Gutscheinheft und freuten sich über jede seiner großzügigen Zuwendungen, die, an ihren Lebensansprüchen gemessen, sich eigentlich bescheiden ausnahmen. Bei Hugo, der es

gut mit ihnen meinte, fiel auch jede Kleinigkeit, und gerade diese klitzekleinen Aufmerksamkeiten, ins Gewicht. Mal war es ein Blümchen aus einem der städtischen Blumenkübel, dann wieder eine Handreichung über eine Stolperstelle hinweg. Sie fühlten sich ausgesprochen wohl in der Gesellschaft des gemütlichen Unscheinbaren, der so gar nicht auf das Eine abzielte, wie sie es sonst zu spüren bekamen, als Quittung für ihre Hochglanz-Offerten. Dieser Mann verstand es einfach, seine bemessenen Stunden zu genießen, sich ihrer Anwesenheit zu erfreuen, er war zuvorkommend, launenlos und gönnerhaft. Wenn da nicht die Knipserei des Vierten im Bunde gewesen wäre, so hätten Mona und Sue nur jeweils auf die andere zu achten brauchen: Denn, je fröhlicher sie wurden, desto mehr spürten sie, daß sie zu teilen hatten, keiner gehörte der liebe Hugo allein. Doch zu teilen waren sie nicht gewöhnt.

 

    Dies spürte auch Hugo, der sich ganz besonders um Gerechtigkeit bemühte, einmal Sue, dann wieder Mona zuerst ansprach, mal der einen, dann der anderen zuerst seine Aufmerksamkeit schenkte. So wurde es zuletzt auch noch für Hugo anstrengend. Der Tag verging im Nu, und Hugo erlebte zu seiner Verblüffung in diesem Luxus eine ganz wesentliche Laune der Weiblichkeit: Sie wollten nicht teilen, alle beide nicht - jede wollte nur einzig und allein bedacht und hofiert werden.

 

    Nach einem opulenten Mahl klang um Mitternacht der schönste Tag in Hugo Baldwins Leben aus. Die Models verabschiedeten sich

gerührt und versprachen, ihn nicht zu vergessen. Hugo ließ sie ziehen, mußte achselzuckend die nett klingenden Wünsche der bezaubernden und nun gar nicht mehr so affektierten Ladies ("rei-

zend", "aufregend", "wunderschön") akzeptieren und wußte, daß es jetzt vorbei war - nur die Fotos in der nächsten Ausgabe im besagten Herrenmagazin würden ihm bleiben. Aber er

hatte es erlebt, und es erfüllte ihn mit satter Zufriedenheit.

 

    Schon am nächsten Abend wurde er aus London von Sue angerufen. Am Sonntag fliege sie zu Aufnahmen nach Tokio - ob er nicht für einen Zwischenstop nach Frankfurt kommen könne? Nur so auf ein bis zwei Stunden, "ach bitte Hugo, nur um guten Tag zu sagen  - willst du so lieb zu mir sein?" Er wußte nicht, wie ihm geschah, schließlich hatte sie die Vereinbarung erfüllt, und er war doch eine abgehakte Terminerfüllung. Nun das, die schöne Sue wollte ihn wenigstens für letztlich drei Stunden sehen, "auf einen Tee vielleicht?" Das wäre für sie machbar, sie nähme dann den letztmöglichen Flieger.

 

    Da konnte Hugo nicht nein sagen. Hocherfreut nahm er die Verabredung an, begann auch sogleich, seine Vorbereitungen zu treffen, nämlich seine Barschaft zusammenzukratzen, damit er der verwöhnten Dame ein wenig mehr als einen Eisbecher spendieren konnte, als auch schon der nächste Anruf kam: Mona, aus Stockholm. Zwischen den nächsten Terminen wollte sie gerne den Sonntag mit ihm, möglichst in der Umgebung von Düsseldorf, verbringen - "Du weißt doch, Hugolein, ohne viel Geld auszugeben, einfach ein paar hübsche Stunden - mit dir, mein Lieber."

 

    Guter Rat war nun teuer, sollte er doch am Sonntag überall sein:

Bei seiner Mutter in Bad Ems, mit Sue drei Stunden in Frankfurt,

die übrige Zeit mit Mona in Düsseldorf. Hugo's beschauliches Dasein in seinem unschuldigen Eifelflecken war entschieden torpediert. Zahlreiche Anrufe waren vonnöten, doch schon bald hatte er alles unter einen Hut gebracht, jeder ihr Zeitkontingent zugeteilt, alle scheinbar zufrieden.

 

    Doch weit gefehlt, jede löcherte ihn mit der liebreizenden Bitte, beim nächsten Mal nur ihr zur Verfügung zu stehen. Die beiden neuzeitlichen Modefeen zeigten wohl Verständnis für seine "Frau Mutter", jedoch mußte er aus rein taktischen Erwägungen, auch um sich zu schonen, die jeweils andere Bekanntschaft als erledigt bezeichnen.

 

    Hugo lernte in der Folgezeit, im rechten Moment zu schweigen oder einzulenken. Er verwies bei Überschneidungen auf familiäre Angelegenheiten, die keinen Aufschub duldeten, berufliche Engpässe und so weiter. Hugo brach der Schweiß aus, wenn es besonders schwierig wurde.

 

    Die Blitzbesuche der Mädels mehrten sich, Hugo eilte zu jeder Verabredung, war pünktlich an Ort und Stelle und erfreute mit seiner gewünschten Liebenswürdigkeit. Jede kam auf ihre Kosten, legte überhaupt keinen Wert auf Geldausgaben, zahlte sogar selber, wenn er sich nur mit seiner sonnigen Frohnatur zum Stelldichein begab.

 

    Schon bald litt Hugo ein wenig, war es doch recht problematisch, jeder der beiden voll und ganz entgegenzukommen, hatte er doch selbst jetzt den Streßkalender eines Models. Aufregend, anstrengend, zeitraubend war es mit einem Mal geworden. Als die Elfen merkten, daß er um gerechtes Aufteilen bemüht war (Hugos Lügen hatten kurze Beine) und keiner den Vorzug gab, begann der Kleinkrieg.

 

    Hugo mußte sich allerhand über Mona bei Sue anhören. Geradezu zeitgleich verfiel Mona auf die Idee, Hugo die andere, Sue, madig zu machen. Man warf einander vor, nicht nur Kleidung adrett den Fotografen vorzuführen, auch von Fotos mit erheblich weniger Textilien  war die Rede. Wenn er eine in Schutz nahm, kam die andere mit Beweisen. Sogar von Sexaufnahmen war die Rede - und wenn alles nichts half: Es sei auch nicht nur bei Fotos geblieben! Eine "ganz schlimme Motte" sei ... die andere. So rissen sie den genervten Hugo hin und her, nur, weil ihn jede für sich haben wollte, ganz allein. Hugo, den Erquicker für die schönen erholsamen Stunden eines Top-Models.

 

    Es blieb nicht beim Umgarnen, es blieb nicht beim betörenden Gegurre: Jede der beiden verstand es, Hugo, ohne viel Mühe, an die leiblichen Genüsse einer erotischen Freundschaft heranzuführen. Es störte Hugo nicht. Nur, daß sie sich immer untereinander schlechtmachen mußten ... Wo sie sich in allem so herrlich ergänzten und es jede verstand, ihm ungekannt Angenehmes und Unerhörtes zu vermitteln.

 

    Manchmal erfolgten über tausende Kilometer herzzerreißende Szenen per Telefon, Eifersüchteleien, warum er nicht von der anderen, dieser "Schlampe" lasse - und ob man nicht selber genüge. Es war hart für den fairen Hugo. Natürlich hatten sie weiterhin ihre geschäftlich leider unumgänglichen Amouren im Jetset. Das war auch etwas anderes, zählte eigentlich nicht, aber Hugo, das war ihr Halt, ihre Lebensfreude, ihr kleines Glück.

 

    Sue und Mona waren jedoch andererseits zu Opfern für "ihren" Hugo bereit. Die eine hatte beim Gedanken an ihn ein lukratives

Angebot zu Nacktfotos für ein besonders freizügiges Magazin ausgeschlagen - die andere nahm von ihrem liebsten Wunsch, einer

kleinen Filmrolle, wenn auch unter geringster Kostümierung, Abstand - hocherhobenen Hauptes sowie ungekannt entrüstet: "Nein, so etwas mache ich nicht ... mehr!" - Und wie sie es zu betonen wußten - alles nur für ihn!

 

                                       * * *

 

    Wie ist die Geschichte mit Hugo ausgegangen? Jedenfalls fand er zunächst nicht mehr zu seiner Ausgeglichenheit zurück, wurde so elementar hin und her gerissen, daß es mit seiner Ruhe und

Gemütlichkeit beinahe vorbei gewesen wäre. Aber er blieb tapfer, verteilte gerecht seine generöse Liebenswürdigkeit, konnte sich auch nie so recht für eine entscheiden - weil er dann die andere verletzt hätte. Niemals hätte er das  fertiggebracht!

 

    Keine der zwei international gefragten Superfrauen konnte er vor den Kopf stoßen - er hatte zwei Herrinnen zu dienen. Ein hartes Männerlos.

 

    Was ihm, nach besonders schweren Stunden noch blieb, war der Traum vom ersten Preis, den er damals verpaßt hatte: Drei Wochen Finnland, Seen, Wälder und Ruhe, die unbehelligte Abgeschiedenheit.

 

    Und noch etwas muß nachgetragen werden: Es gab da noch Bölkes Molly, seine Schicksalspartie, die sich daheim in der Eifel schon viel zu lange seine Faxen hatte mitansehen müssen. Ent-

schlossen nahm sie ihm den Problemkreis ab, machte ihm unmißverständlich klar, daß er eigentlich nur auf sie gewartet habe. Sie war nahe genug an ihm dran, wußte ihn richtig zu fassen, hatte alles, also Hugo, schnell im Griff. Die Sache mit den zwei "Zicken" nahm sie nicht so ernst, sie unterband die Verbindungen unmißverständlich. Und bald herrschte wieder Frieden in Hugos Leben. Hugo wurde Vater, hatte seine Familie zu ernähren. Alles lief in geregelten Bahnen.

 

    Nur manchmal noch gerät Hugo ins Träumen. Dabei ertappt witzelt er von "Ehevollzugsanstalt", in der er "lebenslänglich"

bekommen habe. Doch tief in seinem Innern, wie es da aussieht, das weiß nur er.

 

  





   Immer wenn ich Blickmann treff'
  (ein kurzer Roman, nur so vom Leben)

An einem Samstag im Herbst stand ich im Geschäft neben Blickmann, einfach so, auf einmal. Er hatte sich verändert, das sah und spürte ich sogleich: Blickmann war nicht mehr der, der auf der Oberschule neben mir gesessen hatte, der Streber, diplomatisch glatt, gestriegelt selbst  die Kleidung, ausgewogen in den Äußerungen, gewitzt und versiert. Dieser Blickmann hier trug T-Shirt, Jeans und flotte  Tennisschuhe, sein Haar war zerzaust, und er redete plötzlich eine Spur zu vertraut. So war er damals nicht, der gewiefte Schulsprecher, der aufkeimende Yuppie, der als erster eine Swatch trug, als einziger in den erlauchten Kreis der Tennisspieler vordrang, dessen Weg zum Feinsten vorbestimmt schien. Blickmann gehörte für mich von Anfang an zum Jetset, der ging seinen Weg.

   Jetzt verköstigte er sich mit Fleischlosem, machte ganz den Vegetarier, den Gesundheitsapostel, wußte über jedes Müsli und jeden Nährwert Bescheid. Ich brauchte ihn nicht nach der Mitgliedschaft bei Amnesty International, Greenpeace, Robin Wood zu fragen – seine Buttons, Sticker, die Hemdbeschriftung gaben hinreichend Auskunft. Eier nur von freilaufenden Hennen, klare Sache.

   Blickmann aber war es, der schon in jungen Jahren verschiedene Kaviare und Gänseleberpasteten allein vom Aussehen zuordnen konnte, der nicht zu kosten brauchte, ob die Delikatesse vom Schwarzen Meer kam oder etwas mit Beluga zu tun hatte. Wir witzelten, daß er bei einem Riesling nicht nur das Pflückdatum erschmecken könne, bei ihm schien es bis zur genauen Position des Rebstockes zu gehen – Ortsteil, Hang, Reihe achtungszwanzig, vierunddreißigster Stock von rechts. Blickmann.

   Ich traf Blickmann damals, als er auf dem Polittrip war, er kandidierte für alles, setzte sich für jedes Verkehrsschild, jeden Baum, jede Quappe ein. Blickmann schwätzte behände alles nieder. Das Ossiland betrat er mit den ersten, eine Firma hatte er schnell im westlichen Griff. Blickmann pirschte mit dem Mountainbike bis in die höchsten Etagen, um bald darauf unter New-Age-Klängen astrologische Konstellationen zur Verblüffung der Insider aufzutischen. Blickmann – einer der ersten Aussteiger.

   Blickmann war schon Teil der Aerobic-Welle gewesen, bis zur Handgelenkmanschette im Design korrekt. Turnen lehnte er souverän spöttisch ab. Vor einiger Zeit  sah ich ihn, wie er, mich jovial grüßend, eine Delegation aus Tschetschenien, geschäftig und wichtig, geleitete. Immerzu bemühte er sein unentbehrliches Handy. Beachtlich.

   In einer gutbürgerlichen Speisegaststätte sah ich ihn an Weihnachten, lautstark „Silent night“ vor einer buntgewürfelten Schar Ausländer mit Inbrunst intonierend. Sein ‚Alibi-Türke‘ war nicht dabei, die Zeitungen berichteten, wie er einen Drogendealer-Ring gesprengt hatte. Er hatte ihn entlarvt, bevor die Kripo zuschlagen konnte. Der Durchblicker.

   Immer, wenn ich Blickmann treff‘, verblüfft er mich.

   Nun geht es soweit, daß ich Blickmann fürchte. Bin ich stehengeblieben, oder ist er davongetrabt, hat er sein Fähnchen im Wind, oder habe ich den Anschluß verpaßt?  Irgendetwas hindert mich, Blickmann zu hassen. Er beunruhigt mich. Bin ich schon tot? Lebt Blickmann?

   Immer, wenn ich Blickmann treff‘, sehe ich meinen Standort. Oder ist es mein Standpunkt oder was?



Mißgeschick eines alten Kelly-Fans


Meiner Frau hatte ich versprochen, daß ich über Jana klischeegetreu und augapfelgemäß  wachen würde. Jana, unseren kleinen, zwitschernden Sonnenschein von dreizehn Jahren - und ich hatte die Aufgabe, sie in die Vorhölle zu begleiten. Schon seit Wochen stand es uns allen beängstigend näherkommend ins Kalenderblatt geschrieben: Die Kelly Family käme ins große Stadion unserer Landeshauptstadt! Ein Handicap: Mit Jana waren zwei andere kleine Hippen mitzunehmen, nicht unbedingt der beste Einfluß auf unser Goldprinzeßchen, aber in unserer Umgebung wird Wert auf Auslastung der Fahrzeuge gelegt. Und man war auf mich gekommen, für diese Einsatzfahrt, dem sogenannten Himmelfahrtskommando nicht unähnlich. Dreizehn Jahre kaum gedrosselte Lebenskraft zu bändigen, und dies nun mal drei - gewiß kein leichtes Unterfangen.

   Eigentlich war mir das Ganze nicht unbekannt, ich schätze auch die Kellys, habe sie vor Jahren schon auf Apfelsinenkisten in der Fußgängerzone erlebt, weiß von ihrem kometenhaften Erfolgsanstieg, habe sie beim Bürgerfest im Nachbarort gesehen, mitten in der City - und dies vor drei Jahren, als sie vier Konzerte zu je 70 Minuten mit Viertelstunden-Unterbrechungen spielten. Sie hatten mir imponiert. Musik-Tour-de-Force, professionelle Ausübung des Handwerkes. Ihre CDs liefen mittlerweile wie geschmiert nach all den selbstproduzierten Musikkassetten, und nun hatten sie auch den großen Durchbruch gepackt. Vor drei Jahren spielten sie Key to my heart als Schlußtitel. Es hatte mich so mitgerissen, daß ich alle vier Auftritte vor Ort blieb, schon allein, weil mich dieses Finale so begeisterte.

   Jetzt waren wir drei Jahre weiter, Jana seit Monaten berauscht im Kelly-Fieber wie auch einige ihrer tapfersten Mitschülerinnen. Es schien wohl nicht so leicht, sich gegen die militanten Boygroup-Pipimädels zu behaupten. Lieber war es mir allemal, als die Vergötterung dieser Abziehbildchenbubis - nein, die Kellys hatten auch noch meinen Respekt verdient.

   Wir waren  schon im vorigen Jahr in der Sporthalle gewesen, 6000er Gekreisch-Einheit, Jana bei meiner Frau und mir - flehentliche Blicke zu den großen Mädchen von vierzehn, fünfzehn Jahren - und die standen als felsenfeste Mauer des harten Kerns in den ersten Reihen dichtgedrängt und verausgabten sich völlig.

   Nun ist Jana selbst dreizehn und mit den Freundinnen war es ausgemachte Sache - ganz nach vorne! Sie waren nun die Hardcore-Fans, die älteren Mädchen, die Vollblut-Gefolgschaft, der ganz harte Kern. Aber nicht ohne mich!

   Es war klar, auch wenn es von den drei Miniladies mit  mißbilligenden, himmelwärts gerichteten Seitenblicken quittiert werden würde - wir wollten ganz nach vorne gehen, sieben Stunden vor der Zeit, das mußte gehen - ich war ja einmal Leistungssportler gewesen, wir würden die Herausforderung annehmen, wir vier. Schließlich hatte ich vor Jahren auch schon die Rolling Stones in Frankfurt durchgestanden.

   Die Ordner staunten nicht schlecht, als ich nach fünf Stunden Warterei, Singsang und Vertilgung der Wegzehrung mit den ersten in die Arena stürmte - es gelang mir bei diesem Massensprint wie bei einem Schlußverkauf, im näheren Sichtkontakt zu den Schutzbefohlenen zu bleiben, rund achtzig Zentimeter Luftlinie, nur wenige Dutzend hysterischer Geschöpfe zwischen uns. Na ja, Mädchen.

   Anheizergesänge. Zaghaft stimmte ich ein - sollte ich wie ein Ölgötze dazwischenstehen? - öffnete den Blouson und offerierte das brandneue T-Shirt der laufenden Tour. Wir waren gut drauf.

   Lichtkegel. Test der Lasershow, buntes Gewimmel der Bühnenbeleuchtung,

letzte Instrumentenprüfung der Roadies, Gehirnwäsche im Taumel des Skandierens: Kel-lys, Kel-lys, Kel-lys!!!

   Kanonendonner, Rauchschwaden, Blitzlichtgewitter – tatsächlich -  die springlebendige Sippe sprang leibhaftig vor unsere Augen - ein Urschrei ergriff uns markerschütternd - und wie mit Zauberhand klirrten und schepperten hundert Tamburine  über den wildzuckenden Haarschöpfen um mich herum. Punkt zwanzig Uhr setzte der Orkan von Trommeln, Schlagzeug, Orgel und Gitarren ein - und das war der Auftakt - es konnte mich nicht unberührt lassen, eine Aufwallung durchfuhr mich, die ersten Takte, dieses fetzige Intro - mein Gott, du liebe Güte, herrlich, da war es mein Lied, die Kelly-Hymne meines Lebens - gleich jetzt zum Auftakt spielten sie, nur drei Meter vor mir live und

wahrhaftig : Key to my heart !

Das war auch das Letzte, was ich noch mitbekommen hatte, bei Besinnung mitbekommen konnte - und jetzt kam ich zu mir, irgendwie lag ich da, die Hexenküche schien gedrosselt, gebremst, schallentfernt - tatsächlich, ich lag -

und da war auch irgendwie zu meinem Kopfende über mir die Orangeweste eines Sanitäters. Ein feuchter Lappen glitt über meine Stirn, ich schaute in Janas bekümmerten Blick, ihr angstvolles Gesicht, ihre Anteilnahme - irgendwie, ja was - war ich nun zu mir gekommen? Bin ich etwa ohnmächtig gewesen? ICH?

War ich aus den Latschen gekippt, was war eigentlich gewesen? Jana hielt meine Hand, redete verständnisvoll wie eine Mutter auf mich ein, beruhigte mich souverän und liebevoll, fand nun freudig aus ihrer Besorgnis heraus und wußte, ihr Daddy hatte es überstanden. Ich lebte also.

   Es mußte Pause sein, zwei von den Kellys sah ich verschwitzt, sie tranken aus großen Wasserflaschen, waren nervös und aufgekratzt - auf einmal erkannte ich verschwommen und flüchtig Mädchenschwarm Paddy, der an den Tragen vorbeidefilierte, bei mir zu einem ungläubigen Kopfschütteln fand. Es sagte mir sinngemäß „Je öller je döller“, und dann ging er zu den anderen Opfern weiter. Allesamt Mädchen, denke ich. Ein Schlachtfeld der zivilisierten Neuzeit, und ich mittendrin.

   Ich war bereits bestens versorgt, in guten Händen, ich hatte eine liebevolle Betreuung zur Seite. Ich war keine dieser alleingelassenen Töchter. Ich hatte meine große Tochter Jana bei mir.

   Mit einem Mal meinte sie dicht in mein Ohr, daß es nicht so leicht gewesen sei, mich mit den fünf Ordnern über die Barrieren hinweg hier hinter  den Bühnenbereich  zu bugsieren - ich sei wie tot gewesen, offenbar zu keinerlei Mithilfe fähig. Aber ich solle mich nicht sorgen: Das Toupet habe sie bereits an sich genommen.

   Ich war jetzt froh, daß sie es abgelehnt hatte, auf meinen Schultern zu thronen, das wäre rücksichtslos auch den anderen gegenüber gewesen.

   Ein bißchen Sorge bereitet mir nun der Gedanke an die Heimfahrt. Die Freundinnen von Jana - das wird nicht leicht rüberzubringen sein ... und auch daheim wird es für mich nicht so ohne. Wie und was soll ich erklären ... ob mir Jana aus der Patsche hilft, vielleicht nimmt sie den Kollaps auf sich, wenn ich ihr haarklein die Empfindungen des Hyperventilierens beschreibe, wie es so ist im kollektiven Freudentaumel, das gemeinsame Kreischen und die unabwendbare Besinnungslosigkeit, wenn man jeden Halt und alle Orientierung verliert.

   Und Hand aufs Herz, und das sage ich Ihnen als siebenundvierzigjähriger Vater, steckt nicht in einem jeden von uns irgendwo ein dreizehnjähriges Mädchen?




Der Handkuß

(ein Trickfilm)

 

Der kleine Liebhaber war wirklich klein, ausgesprochen klein. Aber er hielt es mit den Umgangsformen, das mußte man ihm lassen. So hatte er sich auch alles über den Handkuß gemerkt, wie er diesen, tiefgeneigt über die exakt zwischen Daumen und übrige Finger eingelegte Damenhand hauchend zu vollziehen habe. Doch bei der ersten Gelegenheit kam es ganz anders: bei einem festlichen Empfang begegneten sie sich.

   Die große Dame von Welt, sehr lang, sehr fein, sehr gewichtig, wollte den kleinen Herrn kennen lernen. Dies schickte sich gut an. Sogleich stürzte er auf sie zu. Sie hingegen war es gewöhnt, größeren Herren ihre Hand huldvoll entgegen zu reichen, vor allem auch nicht zu tief, sondern entgegenkommend hoch. Beglückt schloß sie die Augen. Und deshalb, sie hatte sich nicht so schnell, wie er auf sie losstürmte, auf sein Niveau umgestellt, schwebte ihre Hand just über ihm. Nett, aber für einen Moment peinlich. Es war natürlich gut von ihr gemeint, einen Herrn sich nicht zu tief verbeugen zu lassen und daher die Hand entgegenkommend zu lüften. Doch bei ihm wirkte sich diese Situation fatal aus, da sie, während er verzaubert heran eilte, die Augen geschlossen gehalten – und somit ihre Hand über ihm schwebte.

   Was tun? Spontan fiel ihm das Reckturnen aus der Schulzeit ein – und schon hechtete er mit ausholenden Schritten seitlich hinauf, faßte auch gut am vor Schreck starren Arm der kolossalen Dame nach, als sein Gewicht  den langen, entblößten Damenarm herab bog und er, infolge des nicht gelungenen Einsatzes, den ganzen Arm der Länge nach mit seinem Kuß benetzend, einer Schnecke gleich, daran zu Boden glitt.

   Doch die Walküre besann sich ob des Schreckens eines Besseren, holte mit dem der Länge nach von der Armbeuge bis zu den Fingerspitzen liebkosten Arm aus und drosch ihm mit der Grazie eines Golfspielers die zur Faust geschlossene Rechte so exakt unter das Kinn, daß er im Schirmständer des Vorraumes den Boden der Realität wiederfand.

   Das klägliche Ende einer kaum begonnenen Romanze …






Der Überbringer


Ich habe mich spezialisiert. Für das gesamte Bundesland bin ich da, stehe auf Abruf zur Verfügung, eile vor Ort, informiere mich – und walte meines Amtes.
Irgendwie sadistisch, meinte neulich ein Kollege, unvorsichtig hatte er das verlauten lassen; ich hörte es. „Einer muß es machen, keiner will es machen, ich mache es!“ Ganz einfach. Für mich.
Man kennt es doch aus den Filmkrimis – das Kommissars-Duo hat die Nachricht den Angehörigen mitzuteilen. Manche knobeln sogar, oft muß es schon der Untergebene übernehmen, ‚er muß ja auch mal ran‘. Und dann wird linkisch herumgedruckst.
Ich habe meine Methode. Direkt raus damit, wie es ist: Fakten, und ohne Umschweife die Realität. Eigentlich ganz einfach, wenn man es kann.
Manche sagen, ich habe ein Gemüt wie ein Pitbull, kalte Schnauze und so. Aber Tatsache ist doch, daß die Menschen nicht wirklich belogen werden wollen. Sie klammern sich an ein Fitzelchen Hoffnung, aber das bringt nichts: Das ist so, als würde man das Fallbeil noch einmal Halt machen lassen – als würde es dann höheren Ortes zur Begnadigung reichen. So ist es nicht. Die Hinauszögerung verlängert das Leid, letztlich kommt der Schlag doch, unweigerlich.
Ich bin kein Vollstrecker, ich bin nur der Überbringer – und der wird nicht geköpft. Die Menschen haben gelernt, daß das Leben kein Ponyhof ist, wie sie sagen, kein Wunschkonzert. Das Leben ist nüchtern zu sehen, man muß es nehmen wie es kommt.
Ich bin abgeklärt, habe meine Lebensprüfung bestanden, als ich Frau und Kinder verlor. Nun trifft es andere. Was soll mir noch geschehen. Keiner kann es sich aussuchen. Und wenn es eines Tages mich betreffen sollte, dann wäre niemand zu verständigen. Sie brauchen dann einen Neuen. Denn es hat sich bewährt – alle sind irgendwie erleichtert.






Wie weit würdest du gehen?

 Das Pärchen kannte sich noch nicht allzu lange, und es ist eigentlich auch egal, ob sie ganz jung oder schon etwas fortgeschrittenen Alters sind. Nein halt, es ist doch besser, wenn sie schon einiges an Lebenserfahrung einbringen, mitbringen in diese entstandene Zweisamkeit.

   Sie haben den besuchten Strand verlassen, sind die Strecke zur Klippe hinauf gelaufen und stehen nun in der frisch windigen Luft, hoch droben über dem Strand, wo sie vorhin so warm geborgen waren, die Brise über ihren entspannten Körpern genossen.

   „Wie weit würdest du gehen?“ fragte er sie unvermittelt, „wie weit mir vertrauen? Los, dreh dich zu mir! Und geh rückwärts zur Klippe, Augen zu, ich dirigiere dich – komm, mach schon, trau dich!“

   Spontan machte sie es, lachte noch, es waren noch viele Schritte zum freien Fall, sie lachte energischer, er trieb sie weiter an, ihr Lachen wurde verwirrt, ihr Gang unsicher, langsamer.

   „Geh weiter, nu mach!“

   Es wurde ihr unbehaglich, ein wenig Übelkeit stieg in ihr auf. Sie schaute auf.

   „Ein blödes Spiel, komm, laß uns wieder zum Strand gehen,“ versuchte sie vermittelnd, „ich mag nicht mehr.“

   Wortlos und entschlossen schüttelte er den Kopf, dirigierte sie weiter.

   „Nachher mußt du aber auch mal …“ wehrte sie sich nun, eine leichte Kränkung überspielend. Zaghaft schaute sie seitlich, das Rauschen aus der Tiefe war deutlicher geworden.

   „Nicht gucken!“ schrie er, das ist unfair. „Ob es noch ein Nachher geben wird?“

   Ihr erschrecktes Aufschauen ließ ihn lachen.

   „Du vertraust mir nicht? Nix da, auch nicht auf den Boden schauen – nur zu mir gucken, ja so.“

   Ihr brach nun der Schweiß aus, die Schritte wurden minimal, verzögert, sie kam zum Stillstand. „Ich will nicht mehr.“

   „Ach?“ sagte er nur, „das war es also? Na danke, so vertraust du mir also.“

   „Ich bin schon so nah, ich spüre es,“ gab sie kleinlaut von sich, „jetzt aber du mal!“ versuchte sie sich zu verteidigen.

   „Nachher,“ sagte er nur, schüttelte langsam den Kopf, zeigt ihr, weiter rückwärts zu schreiten.

   „Gib mir wenigstens die Hand – reiche mir die Hände, Liebster“, flehte sie übertrieben und letztlich wollte sie sogar ihre Not singend überspielen: „Reich mir die Hand, mein Leben,“ flötete sie zittrig.

   „Wie beim elektrischen Stuhl oder wie“, lachte er giftig. „Nein, ich will es jetzt wissen, ich erwarte es von dir!“

   Auf einmal straffte sie sich entschlossen und ging an ihm vorbei, schubste ihn seitlich, nahm den Weg zurück zum Strand.

   Er folgte ihr, wortlos. Ich glaube, sie sprachen nie mehr davon.

   Er ist ihr eindeutig zu weit gegangen




Die Sache mit Bopp

 Oh dieser Bopp – wenn ich nur noch dran denke. Meine First Lady hatte sich verliebt, in Bopp. Was sollte ich tun? Auf einmal war er da, und nun mußte sie ihn jeden Abend sehen. Die Sache mit ihm ging mehrere Monate, schrecklich.

   Das muß 1997 gewesen sein, ich weiß es noch wie heute und das werde ich auch nie, niemals vergessen! Meine Chefin war hin und weg, seit sie von ihm hörte. Hale Bopp. Er sei so einsam, sagte sie mit Kloß im Hals.

   Auf einmal tat es auch das Fernglas nicht mehr, ein Fernrohr, ein Teleskop mußte her, sofort. Sie hatte es sich selber gekauft, ich hätte den Teufel getan …

   Von Vorfreude getrieben hetzte sie schon vor Einbruch der Dunkelheit hinaus. Der große Einsame am Firmament. Der ruhelose Sonderling, unergründlich getrieben: ach hört mir doch auf!

   Er komme vom Himmel, er sei dem Himmel nah, vielleicht sei er gar der Himmel, so verklärt sie ihn. Ich vergehe vor Eifersucht; es ist ihr wurscht.

  Nun glaubt sie umso mehr an die Wiedergeburt. Nützlichkeitsdenken – Hale Bopp komme 4535 in unser Sonnensystem zurück.

   Sein Kometenschweif soll 50 Millionen Kilometer betragen – einen solchen Schwanz … da komme ja nicht einmal ich mehr mit!





Die kleinen Wörter

Die Kleinen wörter

Fordern Ihre gleichberechtigung

Wollen anerkennung Gegenüber Den Großen worten

 

Wir

Die Kleinen worte

Wollen Frei Sein Von Den Großen wörtern

Möchten Auch Bestimmen

Und Nicht Nur Hinter Den Großen worten

Zurücktreten

 

Zu anfang Hat Man Uns Respektiert

Auch Als Wir Uns Wie Große Worte Benahmen

 

Laßt Uns Doch

Große Und Kleine Wörter

Gleich Sein

Sogleich Einen Neuen Anfang Machen

 

große und kleine wörter vereinen

jubelnd einen neuen weg beschreiten

 

was meint ihr großen worte zu uns kleinen

ob wir kleine Wörter uns in Zukunft

gut mit euch großen Wörtern verstehen werden?




Es ist ein Stück von mir

 

Immerhin war es schon vier Monate weg, das Stück, bis ich wieder davon hörte: auf meine Bitte hin,  doch eine Äußerung darüber erfahren zu dürfen, wurde ich um Geduld gebeten.

 Doch man war interessiert,  konnte sich sogar nach sieben Monaten  bereiterklären, es abzudrucken, nur: es wären noch einige unbedeutende Korrekturen vorzunehmen. Zum einen passe es in dieser Form nicht in das Konzept des Verlages, brauche lediglich umgeschrieben zu werden, zum anderen sei es für die vorgesehene Rubrik  ein wenig zu groß geraten und dürfe nur etwa ein Drittel des bestehenden Umfanges aufweisen.

 Die kindlichen Kränkungen hatte ich rasch verdaut, denn nun war ich am Zuge- Über den neuen Titel brauchte ich mir auch keine Gedanken mehr zu machen, denn der wurde als festgelegt gleich mitgeliefert.

Nach nur zwei Monaten bekam ich mein Stück wieder. man meinte, daß es schon recht gelungen erscheine, lediglich solle der Anfang – auch ein wenig die zweite Hälfte – umgeschrieben werden.

 Dies war rasch getan. Die letzte Überarbeitung  bezog sich nur noch auf den Rumpf des Stückes, dann war es fertig, alles bestens erledigt und zur vollen Zufriedenheit des Verlages ausgeführt.

 Es war soweit. Die ersehnte Ausgabe  der Zeitschrift mit meinem Stück war erschienen – und richtig, da war es, mein Stück, abgedruckt in der Zeitschrift – mein Name war beinahe richtig geschrieben, aber das machte nun wirklich nichts mehr: jeder, aber auch jeder, der es las, würde meinen Namen erkennen können.

 


 



Donde estan los servicios,

   por favor?

Inoffizieller WC-Führer La Palma 2005

 

 Wenn Sie jetzt gleich zu Anfang, liebe Leser, ein Zuordnungsproblem haben, wo denn wohl LA PALMA liege, dann seien Sie getröstet – auch unsere besten Freunde bringen es fertig, nach einer Urlaubsreise mit der Frage an uns heranzutreten: „Und, wie war es auf Teneriffa?“

  La Palma ist eine der sieben Kanarischen Inseln, nicht zu verwechseln mit Las Palmas, der Hauptstadt von Gran Canaria (ebenfalls vor der afrikanischen Nordwestküste gelegen) – oder gar mit Palma de Mallorca. La Palma ist diese zauberhafte, diese idyllische, diese grüne Perle, diese Isla Bonita, dieses ….lassen wir das jetzt, kommen wir zum Thema.

  Spanisch ist so gar nicht unser Ding. Wenn Sie jetzt an der Überschrift herumrätseln sollten – es ist die Frage nach der Toilette, eine nützliche Frage, eine überaus gescheite Frage. Aber Vorsicht, zu sehr diesen kleinen Satz zu beherrschen kann dazu führen, daß Sie, als der Landessprache für mächtig befunden, vollmundig auf den Weg geschickt werden:

   „Señor, esto es facil, vaya usted aqui a la iziquierda, hay una sala, ve usted la puerta derecha y las escaleras conducen arriba y a la derecha la segunda puerta, estan los servicios para caballeros!“

  Wenn dies geschieht und diese Wörtersalve maschinengewehrgleich auf Sie einprasselt, dann sollte man wenigstens dem zuerst wahrgenommenen Fingerzeig folgend die Richtung einschlagen und dann weitersehen. Viel Glück.

  Noch viel viel mehr Glück brauchen Sie aber bei Erreichen der Servicios, hier ist der Überraschungen Heimstatt, hier ist Abenteuer pur angesagt. Natürlich führen Sie selbst im Handgepäck WC-Papier mit sich, klarer Fall, denn auch dieses, wie das zumeist nicht vorhandene, ist in Eimerchen zu entsorgen, da die Sickergruben nur das Natürliche abbauen, nicht aber das natürlich nicht vorhandene Papier. Richtig spannend ist etwas ganz anderes.

  Der alte Flugplatz hat gute Toiletten, es kann nur sein, daß Sie wegen der Reinigung momentan nicht hineinkönnen, sonst aber kommen Sie gut klar. Nähern wir uns der Hauptstadt, Santa Cruz. Hier ist schon ein kleines Mekka der vertrackten Mängel. Von den ‚Glorreichen Drei Defekten’ ist einer, mindestens einer, stets gegeben: Türriegel, Spülung, Wasserhahn. Zu den Details kommen wir bei der Überlandfahrt.

  Im Raum Fuencaliente ist es um Türriegel schlecht bestellt. Wenn überhaupt einer vorhanden ist, läßt er sich entweder nicht bewegen, oder er findet keinen Gegenpart, um seiner Funktion gerecht zu werden, zumeist ist der Holzrahmen aufgebrochen – der Riegel schiebt ins Leere. Bei einem Stehgeschäft, dem ich im Urlaub längst mit männlicher Genugtuung fröne, läßt es sich oft mit dem Hackentrick bewerkstelligen, allerdings geht dann die Trefferquote gegen Null (mit ein Grund, weshalb man daheim auf weibisches Sitzen umprogrammiert wurde). Zumindest, wenn man dem Artistischen nicht so gesonnen ist, bleibt einem ja der Trost der Rückansicht – man jubelt dem Hinzutretenden nicht gleich mit dem kleinen Freund zu. In meiner Lieblingsbar (jede Kneipe heißt Bar, nur ist es dort anheimelnder als in deutschen Gegenstücken, meine Meinung, kann auch nur das Urlaubsgefühl sein) gibt es noch eine nicht zu unterschätzende Stufe und ein Problem mit den nassen Fingern. Wasser läuft, sogar ins Klo- und ins Waschbecken, mit den nassen Händen komme ich schon klar, wer will denn gleich allen Service erwarten. Im Fischlokal unten an der Küste allerdings fehlt ein Handwaschbecken. Dafür hört die Spülung nicht mehr auf. Sollte man, wird gar erwartet, daß …nein, glaube ich nicht, es ist in der Schmalspurkammer einfach kein Platz mehr dafür – und lieber die Kloschüssel als ein Waschbecken, so hätte ich auch entschieden.

   Puerto Naos bietet die üblichen Probleme, viele Bars, viele Defekte. In Tazacorte war ich angenehm in einem Restaurant angetan, alles schien perfekt. Es gab sogar ein Urinal – das begrüße ich stets wohlwollend. Nur, ich hatte auf einmal nasse Schuhe, will sagen, ich hielt meinen Strahl punktgenau hinein, doch unterhalb des Beckens spielte sich eine dezente Urinrückgabe an den Erzeuger ab. Tazacorte Hafen ist da schon interessanter: hier ist es bereits ein Problem, das richtige Haus zu finden, denn die Fischlokale am Küstensaum verweisen für die besonderen Geschäfte in die alte Ortschaft hinein – aber egal, einen defekten Lokus finden wir überall.

  Versuchen wir es in luftiger Höhe – auf dem Weg ins ‚Hochland’ kommen wir zu den Aussichtspunkten, beim ersten und allerbesten ist gleich der Zugang zu den Damentoiletten verschlossen – die Mädels dürfen schamhaft bei uns einrücken, die meisten verkneifen es sich lieber. Oben in den Bergdörfern, so nenne ich die nun einmal, ist es rauh und herzlich. Vom Full House, wie ich meine drei Kernmerkmale (Riegel, Spülung, Waschbecken) nenne, sind zumeist zwei erfüllt, man will ja nicht zuviel verlangen. Zudem sehe ich das zu deutsch, es wäre ja auch kein Urlaub. Gedanken an eine Umschulung als Installateur zerschlagen sich von allein, Bankrott wäre angesagt, keiner würde einen rufen oder gar richtig beauftragen. Und ein richtiger Auftrag wäre in Puntagorda fällig gewesen – im Handwaschbecken konnte man den Hahn, der sich stets schamhaft den Händen nach hinten seitlich ob seiner unnatürlichen Beweglichkeit entzog, nur mit einer Hand festhalten – und da reiben Sie sich mal die Hände!

 Noch nie (in Zeitlupe: nnnnnnnnniiiiiiieeeee ) war eine Toilettenanlage mängelfrei. Es ist schon ein Sport, nach deutscher Gründlichkeit den Defekt zu suchen, nein, Suche braucht es nicht, es ist offensichtlich (und nur für den typisch Deutschen?) – man erkennt dort kein Problem, beneidenswert. Und fliegt man wieder und kommt nach Monaten zurück, ist ein Mangel behoben, zwei andere haben aber die Nachfolge angetreten.  Ich komme zurück, hier und jetzt früher oder später, und sage der holden Begleiterin …nichts, zwei bis fünf Finger tun es auch, ganz stumm. Wir lachen, haben Urlaub. Der Nordosten konnte sich bislang meinen Nachforschungen noch entziehen, dort sind wir nie lange genug, und so oft muß ich ja nun auch nicht. Manchmal ist es mir, als sei ich ein populäres Opfer der spanischen Version von VORSICHT KAMERA oder VERSTEHEN SIE SPASS? – als würde ich dort als Running Gag verheizt. Ist aber nicht so, ich bin noch unentdeckt.

  Es bleibt der Gang ins Ungewisse, ein leichtes „Por favor – servicio?“ reicht, ich finde schnell die Örtlichkeit der nie versiegenden Überraschungen.

  La Palma – nicht der Lokusse wegen. Es gibt so viel Schönes zu sehen, zu entdecken, zu erleben. Allein der Gang über die kleinstädtischen Trottoires, was sich hier an unfallträchtigen Löchern auftut – Stolpern auf La Palma 2006, es ist in Planung (sobald der Gips ab ist).



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